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Mythen über den Auftraggeber aus Sicht der Projektleitung

Enttäuschungen beruhen nicht zuletzt auf Täuschungen. Sie entstehen zum einen durch negative Verhaltensweisen anderer, wie z.B. durch falsche Aussagen, nicht eingehaltene Versprechungen oder Intrigen. Zum anderen werden Täuschungen auch durch Selbsttäuschungen verursacht. Mit anderen Worten, man macht sich etwas vor, geht allzu oft von unreflektierten Annahmen aus, der Wunsch ist die Mutter oder der Vater des Gedankens.

Die idealen Auftraggeber:innen, welche Projektmanager:innen hätten sie nicht gerne, vereinigen im Idealfall folgende Merkmale:

  • Genügend Sachverstand (nicht zu verwechseln mit Detailkenntnissen)
  • Hohes Interesse am Projekt
  • Entscheidungsbereitschft und Durchsetzungsvermögen
  • Verfügt über Budget

Die sechs Irrtümer

Doch die Verhältnisse sind längst nicht immer so. Merkwürdigerweise gehen manche Projektmanager:innen davon aus, dass Auftraggeber:innen dem Idealzustand mehr oder minder entsprechen. In der Praxis ist es empfehlenswert, sich aus diesen Träumen zu befreien, die eigenen Erwartungen kritisch zu hinterfragen. Doch wenn Sie weiter träumen und sich von ihren heilen Wunschvorstellungen leiten lassen wollen, dann können Ihnen die nachfolgenden Empfehlungen sicher weiterhelfen.

  1. Irrtum
    Auftraggeber:innen müssen mir einen klaren Auftrag erteilen.

    Bevor ich mit meiner Arbeit beginnen kann, muss der Auftraggeber mir einen klaren, gründlich ausgearbeiteten Projektauftrag geben, denn er ist schließlich Auftraggeber und die Projektleitung ist Auftragnehmer. Das ist häufig eine Illusion, denn Auftraggeber:innen sind oft fachlich gar nicht in der Lage, einen detaillierten Projektauftrag auszuarbeiten und selbst wenn sie dazu fachlich in der Lage wären, fehlt ihnen oft die Zeit. Berechtigterweise erwarten Auftraggeber:innen von der Projektleitung, dass sie durch die richtigen Fragen und Vorschläge den Auftrag klären, hoffentlich in aktiver Zusammenarbeit mit ihren Auftraggebern:innen.
  2. Irrtum
    Die Auftraggeber:innen wissen genau, was sie wollen.

    Der zweite Irrtum steht in enger Verbindung mt dem vorherigen. Häufig basiert dieser auf einer Omnipotenzphantasie in Leitung: „Das Management, „die da oben“ haben sich intensiv mit dem Projektziel beschäftigt, die Enscheidungsträger:innen kennen sich aus, sie wissen, was richtig ist. Werden sie nicht gerade deshalb besser bezahlt?“ Was für einem fürchterlichem Irrtum unterliegt die Projektleitung, denn sie hat die Verantwortung, in einem möglichst intensiven Austausch mit den Auftraggebenden die Ziele und Rahmenbedingungen zu klären. Projektleiter:innen müssen Auftraggeber:innen beraten, unrealistische Erwartungen bezüglich Ziele, Zeit und Kosten deutlich aufzeigen, auch dann, wenn die Gespräche manchmal schwierig sind. Nach wie vor gilt die Aussage: „Gute Projektleiter:innen müssen unbequem sein können, wenn es die Sache verlangt“, unbequem im Sinne eines konstruktivem Ungehorsams. Ja-Sagen wider besseres Wissens ist unprofessionell.
  3. Irrtum
    Die Auftraggeber:innen stehen hinter dem Projekt.

    Selbstverständlich sollte die Projektleitung davon ausgehen, dass sich Auftraggeber:innen für ihr Projekt einsetzen und Blockaden aus dem Weg räumen, wenn die Projektleitung selbst dazu nicht in der Lage ist. Hinter dieser Erwartung steht die berechtigte Erwartung an die Auftrager:innen: „Setz Dich für Dein Projekt ein.“ Der Anspruch ist absolut richtig, doch manche Projektleiter:innen müssen erkennen, dass die Auftraggeber:innen nicht über das notwendige Rollenverständnis verfügen. Besonders irritierend ist es, wenn einerseits die Bedeutung des Projektes mit schönen Worten betont wird, doch andererseits die notwendigen Entscheidungen nicht getroffen werden. Was folgt daraus? Die Projektleitung sollte die eigenen Annahmen kritisch hinterfragen und Widersprüche aufmerksam wahrnehmen. Manchmal ist ein Desillusionierungsprozess notwendig und heilsam.
  4. Irrtum
    Die Auftraggeber:innen verfügen über Durchsetzungsmacht, um die notwendigen Entscheidungen zu treffen.

    Die Stunde der Wahrheit zeigt sich spätestens bei Interessenkonflikten, bei Widerständen von Führungskräften gegen die Projektziele oder bei Ressourcenproblemen. Hier sind Auftragger:innen massiv gefordert, hier zeigt sich, ob sie ihre Verantwortung wahrnehmen können und wollen. Statt von der Machtfülle des Auftraggebenden einfach auszugehen, sollte die Projektleitung bereits zu Projektbeginn prüfen, ob der Auftragger oder die Auftraggeberin über die notwendige Power verfügen. Das ist nicht immer einfach, dennoch eine sinnvolle Investition in die Zukunft des Projektes und machnmal auch der Projektleitung.
  5. Irrtum
    Das Interesse der Auftraggeber:innen hat sich im Verlauf des Projektes nicht geändert.
    Wer meint, das zu Projektbeginn geäußerte Interesse der Auftraggeber:innen wäre eine stabile Angelegenheit, verfügt entweder nicht über genügend Erfahrung oder die Person ist recht blauäugig, wobei das erste mit dem zweiten eng verknüpft ist. Die Interessen der Auftraggeber:innen können sich im Projektverlauf ändern, was heute an erster Stelle steht, kann bereits morgen einige Stufen herunterpurzeln. Solche Änderungen geschehen teilweise informell an der Projektleitung vorbei, selten aus böser Absicht, sondern eher aus Nachlässigkeit, Zeitdruck oder aus fehlendem Rollenbewusstsein der Auftraggebenden. Daraus ergeben sich für die Projektleitung klare Konsequenzen:
    – Nicht wundern, wenn so etwas passiert, sondern die Änderung der Interessen als Teil der Realität verstehen.
    – Die Hintergründe der Veränderungen ermitteln.
    – Statt zu lamentieren sollte die Projektleitung mit ihren Auftraggebern:innen über dieses Thema sprechen und mögliche Probleme oder Risiken deutlich aufzeigen und eine klare Entscheidung einfordern.
  6. Irrtum
    Die Auftraggeber:innen sind sich ihrer Aufgaben und Verantwortung bewusst und nehmen sie wahr.
    Selbstverständlich kennen und akzeptieren Auftragger:innen ihre Aufgaben und Verantwortungen genau, sonst wären sie schließlich nicht in dieser Position. Sie wissen, dass sie sich nicht in die operative Arbeit des Teams einmischen sollen und vom Mikromanagement sind sie meilenweit entfernt. Selbstverständlich nehmen sie sich genügend Zeit für Gespräche, wenn es die Situation erfordert. Über geänderte Rahmenbedingungen informieren sie die Projektleitung zeitnah. Wer diese Erfahrungen machen durfte, arbeitet in einer Organisation, in der Projektmanagement vorzüglich etabliert ist, herzlichen Glückwunsch! Wer aber von solchen Annahmen ausgeht, aber gegenteilige, sprich negative Erfahrungen gemacht hat, sollte sich von diesen Illusionen verabschieden und stattdessen versuchen, mit den Auftraggeber:innen die Rollen und die damit verbunden Erwartungen zu klären.

Und die Moral von der Geschicht

Projektleiterinnen und Projektleiter sind gut beraten, sich von den beschriebenenIrrtümern zu befreien, Selbsttäuschungen zu erkennen und abzubauen. Das bedeutet konkret:
Schärfen Sie Ihr eigenes Rollenverständnis.
Klären Sie mit Ihren Auftragebern:innen die Erwartungen.
Achten Sie auf Widersprüche: „Bei Fragen bin ich immer für Sie da“, doch erreichbar ist der Auftraggeber bzw. die Auftraggeberin nicht.
Achten Sie auf die Entwicklung von Interessen oder auf die Aufweichung von Prioritäten.
Offene Kommunikation, konstruktiv kritisches Nachfragen, negative Auswirkungen verdeutlichen – das sind professionelle Tugenden.

Zu guter Letzt

Glücklicherweise gibt es zahlreiche Auftraggeber:innen, die ihre Rolle hervorragend wahrnehmen, mit denen die Zusammenarbeit eine wahre Bereicherung ist. Hüten Sie sich vor einer allzu voreiligen negativen Einstellung gegenüber Auftraggebern:innen, denn das wäre der 7. Irrtum und möglicherweise der schwerwiegenste.


Autor: Gero Lomnitz
Erschienen in: Projektmanagement Aktuell 04/2022 (33. Jahrgang)


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