Was stimmt denn jetzt?
Herzlich willkommen, oder draußen bleiben? Was uns hier am schmucken Eingangstor vielleicht zum Schmunzeln einlädt (es sei denn, ich will eintreten), finden wir in der Praxis immer wieder. Im betrieblichen Alltag, und nicht nur dort, begegnen uns Widersprüche, Paradoxien immer wieder. Sie führen zu Verwirrung, zu Unsicherheit, sie sind ärgerlich und störend. Wir müssen Widersprüche erkennen und uns damit auseinandersetzen. Das gelingt nur durch klare Kommunikation.
Strukturelle und personelle Paradoxien unterscheiden
Der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens erzählte mir, dass seine wichtigste Führungsaufgabe darin besteht, die Motivation seiner Mitarbeiter zu fördern. Er beklagte das zu stark vorhandene Desinteresse seiner Mitarbeiter: innen: „Zu viele sind sich ihrer Verantwortung zu wenig bewusst, die Leute haben einfach die falsche Einstellung.“ Zum Abschluss des Gespräches lud er mich mit folgendem Satz zu einem Rundgang ein: „So, jetzt können Sie sich mal unsere Problemfälle anschauen. Und lassen Sie sich in den Gesprächen mit den Mitarbeitern nur nicht täuschen, die überlegen genau, was sie Ihnen sagen und was nicht“. Inhalt und Form seiner Schilderung waren geprägt von einem gewissen Zynismus und Arroganz. In diesem Beispiel wird die Paradoxie recht deutlich: Er erwartet von seinen Mitarbeitern ein eigenverantwortliches, selbstständiges Handeln (erwachsene Mitarbeiter) und behandelt sie eher schulmeisterlich von oben herab. Seine Mitarbeiter: innen – oder sollte ich richtigerweise von „den Untergebenen sprechen“ haben die Situation klar erkannt: „ Er redet viel von selbständigen Mitarbeitern, doch alles muss über ihn laufen. Bei dem weiß man nie, wo man dran ist!“. Übrigens war er sich dieses Widerspruches nicht bewusst. Er sprach von einem partnerschaftlichen Führungsstil.
Weitere Beispiele
- Die Mitarbeiter: innen sollen die Kunden qualifiziert beraten, denn das Unternehmen lebt von qualifizierter Beratung und gutem Service. Die Mitarbeitenden werden jedoch nicht ausreichend qualifiziert, um einen guten Service, der dem Anspruch des Unternehmens entspricht, zu bieten. Die Begründung des Vertriebsleiters, der für den Service zuständig ist: „Es fehlt die Zeit und solche Fortbildungsmaßnahmen kosten eine Menge Geld. Es geht auch so“.
- Die Unternehmensleitung erwartet höchste Produktqualität, weil die Kunden es verlangen. Der Fertigungsleiter hat die Zielvorgabe: maximaler Output, der Einkaufsleiter wird an der Beschaffung von möglichst billigen Rohstoffen gemessen. Folge: Eine viel zu hohe Fehlerquote in der Produktion, ein ständiger Kampf zwischen Fertigung und Einkauf. Die Problematik lässt sich nicht mit schlechten zwischenmenschlichen Beziehungen erklären, vielmehr handelt es sich um einen strukturellen Double Bind, der darin besteht, dass im Unternehmen unterschiedliche, sich widersprechende Zielvorgaben herrschen.
- Der Teamleiter stöhnt über seine Überlastung, nie hat er Zeit für die wesentlichen Aufgaben, die Hektik frisst ihn auf. Wo er nur kann, da arbeitet er aktiv mit. Er saugt die Arbeit förmlich auf. Delegation ist für ihn ein schönes Schlagwort. Natürlich hat er nie Zeit für seine Mitarbeiter: innen. Diese sind genervt, weil er sich um jede Kleinigkeit selbst kümmern will. Einige haben Nutzen daraus gezogen, sie haben es gelernt, sein Spiel mitzuspielen, indem sie ihm lästige Arbeit abgeben.
- Frau Anton betont wiederholt, dass sie großes Interesse an der Besprechung hat und sich darüber freut, dass endlich eine offene Diskussion stattfinden kann. Dabei macht sie einen sehr angespannten und verkniffenen Eindruck. Diese Form des Double Bind begegnet mir in meiner Praxis häufig. Jemand sagt: „Ich freue mich!“ und drückt doch etwas ganz anderes aus. Stellt sich die Frage: Ist das Verhalten stimmig, ist es echt oder unecht? Beim echten Verhalten stimmen verbale und nonverbale (Mimik, Gestik usw.) Sprache überein, beim unechten Verhalten treten Diskrepanzen auf, was sowohl bewusst als auch unbewusst passieren kann. (Abb. 2).
Double Bind verstehen
Der Kommunikationspsychologe Paul Watzlawick versteht unter einem Double Bind:
»Störungen des Übertragungsvorgangs, der Verständigung, die in der Struktur der Mitteilung selbst enthalten ist.«
Ein einfacher Satz veranschaulicht diese Definition deutlich:
Bitte lesen Sie diesen Satz nicht!
Der Widerspruch liegt in der Struktur der Mitteilung selbst. Indem dieser Satz existiert, fordert er uns zum Lesen auf und gleichzeitig steht geschrieben, man solle ihn nicht lesen. Wie man es macht, man macht es auf jeden Fall verkehrt. Bekannt ist die unmöglich zu realisierende Aufforderung: „Wasch mir den Pelz, doch mach mich nicht nass.“ Wenn der Empfänger beide Anweisungen befolgen will, befindet er sich in einer Zwickmühle.
Double Binds fördern Gerüchte
Double Binds führen zu Verunsicherung und zu Verwirrungen. Im Zustand der Orientierungslosigkeit neigen viele Menschen dazu, sich an die erst beste Erklärung zu klammern, die man durch den „Nebel der Orientierungslosigkeit “ zu erkennen glaubt. Diese Aussage erklärt, warum in Organisationen mit Informationsdefiziten Gerüchte an der Tagesordnung sind. Lieber eine falsche Information als keine Information. Dieses Phänomen fällt besonders in krisengeschüttelten Unternehmen auf, in denen die Mitarbeiter nur unzureichend über die wirkliche Lage informiert werden. Gerade in schwierigen Situationen neigt man dazu, nach dem scheinbar rettenden Strohhalm, d.h. dem erstbesten konkreten Anhaltspunkt zu greifen, ohne eine gründliche Prüfung über die Zuverlässigkeit des Strohhalms durchzuführen.
Was tun?
- Nehmen Sie Widersprüche, Double Binds sensibel auf. Oft ist es besser, nicht sofort und direkt zu reagieren, sondern die Dinge zunächst gelassen zu beobachten.
- Wer fragt, der führt. Fragen Sie bei widersprüchlichen Entscheidungen oder Zielvorgaben nach. Thematisieren Sie Ihre Verwirrung. Die einfache Frage „was stimmt den jetzt?“ hat es in sich.
- Prüfen Sie genau, ob Sie wirklich eine klare Antwort bekommen haben oder unklare Entscheidungen selbst interpretieren. Denn das steht der Klärung im Wege.
- Machen Sie negative Konsequenzen von Widersprüchen deutlich – am besten schriftlich und mündlich. Formulieren Sie die daraus resultierenden Erfordernisse klar. Zeigen Sie auf, was passiert, wenn diese nicht aufgelöst werden.
- Sprechen Sie die Probleme dort an, wo sie hingehören. Nicht im Meeting schweigen und am Kaffeeautomaten lamentieren.
- Nur Profillose haben keine Ecken und Kanten, hoffentlich haben Sie welche. Es kann nicht nur darum gehen, immer beliebt zu sein, sondern darum, geachtet zu werden.
Autorin: Johanna Boos-Lomnitz
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